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Soziale Folgekosten von Lust & Sucht ...

Die Österreicher verlieren jährlich 400.000 Lebensjahre durch Alkoholmissbrauch, Rauchen und illegale Drogen. Falsche Ernährung und Bewegungsmangel „kosten“ 840.000 Lebensjahre pro Jahr.

[23. Oktober 2013 | Wien] Die negativen Folgen eines (unkontrollierten) Konsums von Alkohol, Rauchtabak, illegalen Drogen und Glücksspiel sind in zunehmendem Maß fixer Bestand des öffentlichen Diskurses. Verantwortlich dafür sind nicht alleine z. T. neue Restriktionen, sondern auch die Tatsache, dass sich die Wissenschaft vermehrt dem Thema annimmt. Neben reinen medizinischen Analysen werden Studien, die sich den sozialen Folgekosten widmen, immer wichtiger. Es hat den Anschein, dass menschliches Leid, die Folgen von Lust und Sucht in Geldbeträge konvertiert werden müssen, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Offenbar bedarf es der „Großen monetären Zahl“, um Dinge in Bewegung zu bringen.

Allerdings gibt es berechtigte Zweifel an der Aussagekraft so mancher geläufigen Studie. Und durch die enormen Unterschiede in den Ergebnissen, ist auch das Vertrauen in möglicherweise schlüssige Resultate berechtigterweise erschüttert. So werden etwa die Volkswirtschaftlichen Kosten des Alkoholmissbrauchs in Österreich auf 103 Euro pro Einwohner taxiert, in Deutschland auf 328 Euro und in der Schweiz auf 665 Euro. Bei Tabak liegen die Werte bei € 261,- (A) € 415,- (D) und
€ 1.006,- (CH). Der Grund für die Misere liegt nicht alleine in der oftmals deplorablen Qualität der Basisdaten (Prävalenz, Gesundheitskosten etc.), sondern auch im Versuch, die Auswirkungen von Alkohol, Tabak etc. breitmöglichst zu erfassen und monetär zu bewerten. Gepaart mit untauglichen methodischen Ansätzen (z.B. Humankapital-Ansatz), ermöglicht erst dieses Ansinnen das Auftürmen gewaltiger Geldbeträge, die dann unreflektiert als „Große Zahl“ im Raum stehen.
Ein weiterer Schwachpunkt ist der, dass Komorbiditäten in den Modellen nicht berücksichtigt werden, wodurch es etwa aktuell unmöglich ist, ein Gesamtbild über die volkswirtschaftlichen Kosten eines (unkontrollierten) Konsums von Alkohol, Tabak, Drogen und Glücksspiel zu erhalten.

In einer aktuellen Studie haben KREUTZER FISCHER & PARTNER gemeinsam mit der Medizinischen Universität Wien den Versuch unternommen, aus prinzipiell soliden Sekundärstudien nachvollziehbare Werte für Österreich zu extrahieren oder aber mit eigenen Modellen solche zu berechnen, wobei erstmals die Komorbidität von Suchterkrankungen berücksichtigt wird.

In dieser ganzheitlichen Betrachtung liegen die volkswirtschaftlichen Kosten des Alkoholmissbrauchs bei jährlich € 255 Millionen und jene des Rauchens bei € 234 Millionen. Die höchsten sozialen Folgekosten entstehen durch illegale Drogen mit
€ 278 Millionen pro Jahr. Die Spielsucht wird in der öffentlichen Meinung im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Verbreitung und dem gesamtgesellschaftlichen Schaden überschätzt. Das Einsparungspotential liegt nur bei rund zehn Millionen pro Jahr. Insgesamt betragen die volkswirtschaftlichen Kosten aus dem (unkontrollierten) Konsum von Alkohol, Tabak, Drogen und Glücksspiel € 777 Millionen pro Jahr. Dem stehen aber staatliche Einnahmen aus den einschlägigen Konsumsteuern im Ausmaß von mehr als € 2,2 Milliarden gegenüber. Die volkswirtschaftliche Bilanz ist daher mit knapp € 1,5 Milliarden positiv. Aus Sicht der Gesundheitsökonomie ist das eine gute Nachricht. Für den Einzelnen gibt es aber keine Entwarnung. Denn was unbestritten bleibt, ist der mit Alkoholmissbrauch, mit Rauchen und Drogenkonsum verbundene gesundheitliche Schaden und die daraus resultierende kürzere Lebensdauer.


Diese lässt sich eindrucksvoll in „disability-adjusted life years”, kurz DALY genannt, darstellen. DALY sind ein Maß für die Krankheitslast ausgedrückt in der Anzahl an „verlorener Lebensjahren durch krankheitsbedingte Behinderung und vorzeitigen Tod“. In Summe verliert die österreichische Bevölkerung pro Jahr 1,6 Millionen Lebensjahre, aufgrund verschiedenster gesundheitlicher Risiken. Auf Alkohol fallen 117.000 DALY, auf Rauchen 239.000 DALY und auf illegale Drogen 41.000 DALY. Überraschenderweise sind die größten „Lebenszeit-Killer“ aber falsche Ernährung und Bewegungsmangel, mit mehr als der Hälfte aller DALY.

Das sollte aber nicht davon ablenken, dass in der österreichischen Suchtpolitik dringender Handlungsbedarf besteht. So ist Österreich eines von zwei EU-Mitgliedsländern, das keinen Nationalen Suchtplan hat und keine bundesländerübergreifend koordinierte Präventionspolitik. Vielmehr ist die Politik Spielball zwischen verschiedenen Interessengruppen, Wirtschaft, Exekutive/Justiz und Medizin und innerhalb der Medizin der einzelnen Fachrichtungen und Disziplinen. Die einen ringen um wirtschaftlichen oder politischen Einfluss, die anderen um Budgetmittel, manche um die Deutungshoheit „Was ist Sucht und wie ist ihr zu begegnen?“.
Durch die positive volkswirtschaftliche Bilanz sollte es aber für die öffentliche Hand möglich sein, zumindest mehr Mittel als bisher für Sucht-Forschung, Prävention und Therapie zur Verfügung zu stellen. Speziell der Bedarf an belastbarem, aussagekräftigem Datenmaterial ist enorm. Datenmaterial um die Sucht-Forschung ein gutes Stück weiter zu bringen, etwa um exakter zu verorten, wo die Hebel in der Prävention, in der Therapie angesetzt werden sollten, um effektivere Therapien entwickeln zu können.

Soziale Folgekosten von Lust & Sucht in Österreich, Wien 2013

Kontakt: Alexandra Wailzer

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