Mit einem Marktanteil von 65 Prozent dominiert die deutsche Bekleidungsindustrie den heimischen Modemarkt. Doch das Geschäftsmodell ist immer weniger wettbewerbsfähig. Mittelfristig stehen 50.000 Arbeitsplätze am Spiel, wie KREUTZER FISCHER & PARTNER heute in einer Pressekonferenz in Düsseldorf mitteilten.
[28. Jänner 2014 | DÜSSELDORF] Deutsche Verbraucher sind modebewusst. Im Jahr 2013 gaben deutsche Haushalte mehr als 52 Milliarden Euro für Bekleidung und Schuhe aus. Das entspricht 4,6 Prozent der gesamten Haushaltsausgaben und ist deutlich mehr als für Gastronomie bzw. Möbel und Einrichtungs-Accessoires.
Die Bekleidungsindustrie sichert 450.000 Arbeitsplätze
Alleine für Bekleidung wurden zuletzt knapp 42 Milliarden Euro ausgegeben. Und, was wohl viele nicht vermuten, die deutsche Bekleidungsindustrie sichert sich den Löwenanteil dieser Umsätze. Denn hinter zahlreichen Marken mit angelsächsischem, italienischem oder skandina-vischem Klang stehen deutsche Unternehmen. Aktuell liegt der Inlandsmarktanteil der deutschen Bekleidungsindustrie bei 65 Prozent. Damit ist man am Heimmarkt stärker als die Marken deutscher PKW-Hersteller (59% Marktanteil) und deutlich dominanter als etwa die deutsche Möbelindustrie (42% Marktanteil).
„Die deutsche Modeindustrie ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor“, analysiert Andreas Kreutzer von KREUTZER FISCHER & PARTNER „deren hohe Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung eindeutig zu kurz kommt“. Produktion und Handel von Bekleidung mit deutschem Markenursprung brachten zuletzt eine Wertschöpfung von mehr als 38 Milliarden Euro oder 1,5 Prozent des BIP. Vor allem sichert die deutsche Bekleidungsindustrie entlang der Wertschöpfungskette insgesamt rund 450.000 Arbeitsplätze, davon alleine 330.000 im Einzelhandel.
„Doch der Erfolg im Inland ist zunehmend gefährdet“, meint Hugo Reissner, Partner des Beraternetzwerks KREUTZER FISCHER & PARTNER und ehemaliger CEO von CBR. „Verantwortlich dafür ist“, so Reissner „zum einen ein stagnierender Markt, zum anderen ein rasanter Strukturwandel in der Bekleidungsindustrie“.
Der Kleiderschrank ist voll
Wenngleich die deutschen Verbraucher einen vergleichsweise hohen Anteil in Bekleidung und Schuhe investieren, stagnieren die Ausgaben nominal doch seit mehr als zehn Jahren. Real wurden 2013 sogar um drei Milliarden Euro weniger ausgegeben als im Referenzjahr 2001. Aus gutem Grund, denn der Kleiderkasten ist voll. Besonders deutlich wird dieser Trend bei Bekleidung für Männer (HAKA), wo seit 2001 sogar signifikant sinkende Ausgaben gemessen werden. Wachstum gibt es in der Modeindustrie insgesamt nur noch in der Preiseinstiegs- und in der Preis-Premium-Lage, jedoch zu Lasten des Mittelpreis-Segments. Fazit, es herrscht ein brutaler (preis- und effizienzgetriebener) Verdrängungswettbewerb.
Der deutschen Bekleidungsindustrie brechen die traditionellen Vertriebswege weg
Dieser Verdrängungswettbewerb befeuert auch nicht zuletzt einen rasanten Strukturwandel im Vertrieb, mit dessen Tempo viele deutsche Modemarken nicht Schritt halten können. Traditionell war der Bekleidungshandel in Deutschland durch Modekaufhäuser auf der einen, und einen markenunabhängigen Fachhandel auf der anderen Seite geprägt. Und hier ist die deutsche Bekleidungsindustrie mit einem Marktanteil von 75 Prozent und mehr auch heute noch überdurchschnittlich stark vertreten. Doch beide Vertriebsschienen verloren im letzten Jahrzehnt an Marktanteil, speziell der markenunabhängige Fachhandel. Zwischen 2001 und 2013 halbierte sich dessen Marktanteil auf nunmehr nur noch 18 Prozent. Gleichzeitig bauten der vertikal organisierte (markengebundene) Einzelhandel und der Versandhandel (Stichwort Online-Handel) ihre Bedeutung erheblich aus. Mittlerweile entfallen bereits 49% der Bekleidungsumsätze auf diese beiden Distributionswege. Im Jahr 2001 waren es erst 32 Prozent. Vor allem ausländische Anbieter setzen auf Marken-Stores und Online-Handel, was zur Folge hat, dass in den boomenden Vertriebsmodellen die Marktbedeutung der deutschen Anbieter weitaus schwächer ist als am Gesamtmarkt. Mit der Erosion der angestammten Vertriebswege verliert die deutsche Bekleidungsindustrie deshalb zunehmend an Marktanteil. Zwar ist der aktuelle 65 Prozent Marktanteil ein respektabler Wert, im Jahr 2001 lag er aber noch bei 73 Prozent. Und schreibt man den Trend bis 2020 fort, schrumpft der Marktanteil auf 55 Prozent.
Die Vertreter der deutschen Be-
kleidungsindustrie erwarten dramatische Umsatzeinbußen
Die Bekleidungsindustrie ist sich dieser Entwicklung auch durchaus bewusst. In einer von KREUTZER FISCHER & PARTNER durchgeführten Branchenbefragung [n=30] bei Eigentümern und Geschäftsführern der führenden deutschen Modeanbieter meinen satte 90 Prozent, dass der unabhängige Fachhandel in Zukunft an Bedeutung verliert, 70% sehen diese Tendenz auch für Warenhäuser. Gleichzeitig gehen 87% von einem weiteren Wachstum des vertikalen Einzelhandels und 57% des Versand- /Onlinehandels aus. Auch für ihr eigenes Unternehmen erwarten 73% der Befragten signifikante Umsatzrückgänge im Geschäft mit dem unabhängigen Fachhandel, ein Drittel der Befragten sogar von mehr als fünf Prozent pro Jahr. Der Umsatz mit Kaufhäusern und unabhängigen Filialisten wird von etwa der Hälfte der Befragten in Zukunft als rückläufig eingeschätzt. Infolge setzen die meisten der Befragten in der strategischen Ausrichtung auf stärkere Vertikalisierung des Angebots, sowohl stationär als auch über Online-Handel. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn die Umsetzung eines solchen Vorhabens ist eine enorme Herausforderung. Es erfordert ein Umdenken des gesamten Geschäftsprozesses. Es ist ein völlig anderes Geschäftsmodell. Plötzlich ist der Konsument der Kunde und nicht mehr ein anderes Unter-nehmen. Und dafür bedarf es nicht nur eines mentalen Wandels im Unternehmen, sondern auch neues Know-how.
Sind Marken-Stores und Online-Handel ein Ausweg?
Darüber hinaus fehlt vielerorts das Kapital, um den betrieblichen Strukturwandel zu finanzieren. Infolge des sich verschärfenden Preiswettbewerbs sinkt im Branchendurchschnitt der durchschnittliche Rohertrag seit Jahren. Seit 2001 um gut ein Viertel. Während „DNA-Vertikale“, wie die internationalen Gruppen Inditex oder H&M bzw. die deutschen Firmen Ernsting’s family oder zero ihre Geschäftsmodelle auf diese Entwicklung hin ausgerichtet haben, kämpfen ‚Hybrid-Anbieter’, d.h. Modeunternehmen, die sowohl eigenen Retail betreiben als auch im Großhandel tätig sind, wie z.B. S.Oliver, Gerry Weber, CBR oder Tom Tailor und vor allem traditionelle Großhandelholdings, wie Steilmann/ Radici, Winter, Leineweber, Hauber oder Seidensticker mit ihren Kostenstrukturen. „Und auch der Weg über Fremdfinanzierung, sei es klassisch über Bankdarlehen oder über den Kapitalmarkt, ist schwierig wie schon lange nicht“, bestätigt Gunter von Leoprechting, Partner des Beraternetzwerks KREUTZER FISCHER & PARTNER.
An diesem Punkt macht sich bei überraschend vielen der befragten Anbietervertreter jedoch eine Art Realitätsverweigerung breit: 37% meinen, „sie machen eben weiter wie bisher“. Etwa gleich viele hoffen trotz allem auf einen „Verkauf an einen Investor, an Mitarbeiter oder das Management“ und 17% planen die „Übergabe an die nächste Generation“.
Ob alle deutschen Modemarken die angesagte „Vertriebswende“ überleben, lässt sich seriöser Weise schwer abschätzen. Fakt ist aber, dass bei einem weiteren Marktanteilsverlust von zehn Prozentpunkten 50.000 Arbeitsplätze am Spiel stehen. Die Entwicklung der deutschen Bekleidungsindustrie ist daher zweifelsohne auch ein volkswirtschaftliches Thema.
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