Die deutschen Bekleidungshersteller stehen unter Ertragsdruck. Das EBIT der achtzig größten Anbieter sinkt. Die strategische Neuausrichtung von Karstadt wird für manche Anbieter die Lage weiter verschlechtern, analysiert das Beraternetzwerk KREUTZER FISCHER & PARTNER in einer aktuellen Studie.
[23. Oktober 2014 | DÜSSELDORF] Auf den ersten Blick ist die Performance der achtzig umsatzstärksten, nicht voll vertikalisierten deutschen Bekleidungshersteller (analysiert wurden nur Kapitalgesellschaften) durchaus imposant. Zwischen 2010 und 2012 wuchs der kumulierte Umsatz um fünfzehn Prozent. Zuletzt wurden gemeinsam im In- und Ausland rund 34,1 Milliarden Euro umgesetzt. Das Umsatzwachstum war jedoch stark asymmetrisch verteilt: Steigenden Erlösen bei sechzig Prozent der Anbieter standen Umsatzeinbußen bei den restlichen vierzig Prozent gegenüber. In den überwiegenden Fällen lagen diese bei Letzteren im zweistelligen Bereich. Etwa vierzig Prozent der untersuchten Unternehmen weisen ein Umsatzwachstum von zehn Prozent und mehr auf. Bei zehn Anbietern wuchsen die Einnahmen zwischen 2010 und 2012 sogar um mehr als 30%, allen voran Tom Tailor und Dr. Rehfeld. Folglich entfiel alleine auf diese Gruppe der Top Ten auch beinahe vierzig Prozent des gesamten Erlöswachstums.
Allerdings ließ sich das Umsatzwachstum nicht in steigende Erträge umsetzen. Ganz im Gegenteil, zwischen 2010 und 2012 sank der Anteil des EBIT am Umsatz von 7,5 auf 4,2 Prozent. In absoluten Zahlen sank das EBIT (bereinigt um Sondereffekte) im Vergleichszeitraum um € 780 Millionen (minus 35 Prozent) auf 1,45 Mrd. Euro, wobei hier die negative Entwicklung bei Esprit, Basler und Puma überdurchschnittlich stark durchschlug. Doch auch dessen ungeachtet, war die Lage im Jahr 2012 wenig erfreulich. Bei vierzig Prozent der Hersteller lag das EBIT unter dem Wert von 2010, wenngleich sie noch Gewinne schrieben. Knapp zwanzig Prozent der Anbieter hatten 2012 ein negatives Ergebnis. Eine positive Performance - mit einem EBIT-Anstieg von zehn Prozent und mehr - gab es eigentlich nur bei rund einem Drittel der Anbieter.
„Die sinkenden Erträge kommen nicht von ungefähr“, diagnostiziert der Branchenexperte Hugo Reissner für das Beraternetzwerk KREUTZER FISCHER & PARTNER. „Am Heimmarkt ist die deutsche Modeindustrie seit Jahren mit einer gesättigten Nachfrage konfrontiert, der Wettbewerb wird immer heftiger über den Preis geführt. Darüber hinaus verlangt der Strukturwandel im Handel nach einer Vertikalisierung des Vertriebs, was sich vorerst vor allem in steigenden Kosten und schrumpfenden Erträgen niederschlägt“. Auch das verstärkte Engagement auf Auslandsmärkten belastet die Ertragslage überdurchschnittlich. Natürlich gab es auch Anbieter, die sich diesem Trend widersetzten. Etwa Bogner, Marc O’Polo oder Marc Cain, die sowohl umsatz-, als auch ertragsmäßig um rund zwanzig Prozent zulegten. Das alles bedeutet aber, dass es andere umso härter treffen musste. Und diese gegenläufige Entwicklung traf neben den drei zuvor erwähnten Big-Playern vor allem den Mittelbau der deutschen Bekleidungshersteller, also Unternehmen in der Umsatzkategorie zwischen 20 und 100 Millionen Euro Umsatz.
Die unerfreuliche Ertragsentwicklung schmälert natürlich auch dementsprechend den Wert der Unternehmen, wenngleich aus externer Sicht hierfür nur Näherungswerte - ohne Gewähr - berechnet werden können. Denn zum einen lässt das deutsche Handelsgesetzbuch unterschiedliche Zuordnungen bei Bilanzpositionen zu und einzelne Unternehmen besitzen hier und dort Sondereffekte. Zum anderen bestehen bei einzelnen Unternehmen nicht präzise von außen einschätzbare Intercompany-Positionen mit bspw. ausländischen Konzerngesellschaften. Nichtsdestotrotz lassen sich wichtige Trendaussagen treffen.
Insgesamt liegt der Unternehmenswert (Enterprise Value: Eigenkapitalwert plus Fremdkapital) der achtzig umsatzstärksten deutschen Bekleidungshersteller bei rund 45,2 Milliarden Euro. Davon entfallen auf die größten zwanzig Player nahezu 97 Prozent (43,7 Mrd. Euro). Der wertvollste deutsche Bekleidungshersteller ist Adidas, wenngleich das Unternehmen als Sportartikelanbieter eigentlich einen anderen Markt bearbeitet als die meisten der analysierten Mitbewerber. Adidas kommt auf einen „Enterprise Value“ von rund 27,8 Mrd. Euro. Den höchsten Unternehmenswert unter den deutschen Bekleidungsherstellern im engeren Sinn erzielt Hugo Boss mit rund 5,2 Milliarden Euro. Dahinter folgen Puma (€ 3,2 Mrd.), Gerry Weber (€ 1,3 Mrd.) und S. Oliver mit rund einer Milliarde. Die substanzielle Differenz zwischen den Unternehmenswerten erklärt sich nicht alleine aus dem Ertrag, sondern auch durch einen exponentiell angesetzten Multiplikationsfaktor, der sich am Status der Börsennotierung (Börsenwerte sind regelmäßig höher als private Unternehmenswerte), dem Ausmaß der globalen Ausrichtung eines Unternehmens und dessen internationalem Erfolg orientiert. Und diesbezüglich hat Adidas in diesem Ranking die Nase weit vorne. Allerdings liegen die errechneten Unternehmenswerte durchwegs unterhalb der Börsenkapitalisierung des Jahres 2012. Dieser Mehrwert ist wohl im Raum der Anlegerphantasie zu verorten.
Die restlichen sechzig Unternehmen sind indessen insgesamt nur vergleichsweise magere 1,5 Milliarden Euro wert. Interessant ist diese Zahl vor allem vor dem Hintergrund einer zu Jahresbeginn vorgestellten Befragung des Beraternetzwerks KREUTZER FISCHER & PARTNER. Denn demnach plant etwa ein Drittel der Modeunternehmer, den Betrieb in den nächsten Jahren zu verkaufen. Dabei handelt es sich primär um den deutschen Mittelbau. Für manche davon könnte es im Veräußerungsfall daher zu einer unliebsamen Überraschung kommen. Denn der aktuelle Unternehmenswert ist in vielen Fällen deutlich geringer, als die Unternehmer höchstwahrscheinlich vermuten. Deren Vorstellungen knüpfen oftmals noch an Bewertungen unter ganz anderen Rahmenbedingungen an. „Bei etwa jedem fünften analysierten Unternehmen dürfte der Eigentümer bei einem Verkauf überhaupt leer ausgehen, zumal der Equity Value infolge der teilweise hohen Bankschulden ja fast immer noch deutlich geringer ist als der Enterprise Value“, analysiert Gunter von Leoprechting ernüchtert, M&A-Experte des Beraternetzwerks KREUTZER FISCHER & PARTNER.
Dabei könnte die Übernahme von Karstadt durch die Signa-Gruppe mit den dadurch erwarteten Veränderungen in der strategischen Ausrichtung der Kaufhauskette einzelne Unternehmenswerte noch weiter substanziell nach unten drücken. Denn dass Karstadt bleibt, was es ist (ein klassisches Kaufhaus), ist unwahrscheinlich. „Benko versteht sich nicht als Kaufhausbesitzer, sondern als Immobilienentwickler“, meint Andreas Kreutzer vom Beraternetzwerk KREUTZER FISCHER & PARTNER. Was das bedeutet, kann anschaulich bei seinen bisherigen Projekten studiert werden. Etwa in Innsbruck am Beispiel des „Kaufhaus Tyrol“. Denn anders als der Name suggeriert, handelt es sich dabei keineswegs um ein Kaufhaus klassischen Zuschnitts, sondern um ein Einkaufszentrum mit eigenständigen Läden. Das „Kaufhaus Tyrol“ war einst Teil des gewerkschaftseigenen Konsum-Konzerns, der 1995 in eine spektakuläre Insolvenz schlitterte. Über zwei Zwischenstationen (der Gerngroß Kaufhaus AG der Palmers-Gruppe und dem Immobilienentwickler BOE) kam das „Kaufhaus Tyrol“ zu Benko, der es nach einem substanziellen Umbau (Neubau) in ein Einkaufszentrum verwandelte. Dieses Schicksal könnte nun den voraussichtlich rund 50 weitergeführten Karstadt-Kaufhäusern auch drohen. Bekanntlich stehen 30 Filialen vor der Schließung, höchstwahrscheinlich, weil sich in diesen Fällen ein Shopping-Center nicht realisieren lässt und/oder aber die Immobilie anderweitig besser verwertet werden kann.
Karstadt hält bei Bekleidung aktuell einen Marktanteil von rund 14 Prozent. Bei einigen Bekleidungs-Lieferanten beträgt der Umsatzanteil aber bis zu vierzig Prozent. Und darin sind jene Unternehmen, die für Karstadt Handelsmarken erzeugen, noch gar nicht berücksichtigt. Für manche deutsche Bekleidungshersteller hat die Umstellung vom Kaufhaus auf Shopping-Center gravierende Folgen, bricht doch mit jedem Umbau ein Stück der Distribution weg. Zwar bekommen die Anbieter möglicherweise die Option, die Distribution mittels eigener Shopflächen abzusichern, aber nur um den Preis, als Ladenbetreiber nun das Vorfinanzierungs- und Abverkaufsrisiko selbst zu tragen. Eine Vertikalisierung des Vertriebs, also der Aufbau eines Filialengeschäfts (inkl. dem Handling des komplexen Arbeitsrechts im Einzelhandel), bedeutet für viele Bekleidungsmarken nicht weniger als die Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells. Bei der diagnostizierten Kapitalschwäche dürfte das so manches Unternehmen überfordern.
Studiendesign: Unter Unternehmenswert verstehen wir den „Enterprise Value“. Dieser errechnet sich aus einer Multiplikation des EBITDA mit dem jeweiligen für das Unternehmen errechneten Multiplikationsfaktor („Multiple“). Berechnungsgrundlage sind die Jahresabschlüsse der jeweiligen Unternehmen aus dem Bundesanzeiger für die Jahre 2010 bis 2012. Zur besseren Vergleichbarkeit sind die darin publizierten Daten aufgearbeitet: So wird etwa das EBIT standardmäßig errechnet aus EBIT zgl. Finanz-/Zinsenergebnis, jedoch unbeachtet der ao./neutralen Ergebnisse. Das EBITDA ist das so gefundene EBIT, erweitert um die Abschreibungen auf Immaterielle Vermögensgegenstände des AV und der Sachanlagen. Der Multiplikationsfaktor stellt den Multiplikator je nach Unternehmensgröße, Börsenlistung und internationaler Ausrichtung dar, beruhend auf dem Umsatz des Jahres 2012 und der globalen Marktposition des Unternehmens. Die Berechnung wurde mit aller gebotenen Sorgfalt - aber ohne Gewähr - erstellt. Irrtum vorbehalten.
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